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Toiletten dieser Welt 4: „Astrastube“ und „Hasenschaukel“, Hamburg

25. November 2011

Ja, Mann! Ficke das negative Denken mit drei Ausrufezeichen (was auch immer das heißt). Gut zu sehen, der Schimmel oberhalb des Sinnspruchs.

Die menschliche Fähigkeit zur Artikulation von Meinungen ist schön und gut, und schlecht. Durch moderne Erfindungen wie die Zeitung, das Telefon oder das Internet wird heutzutage herumgemeint, was die Zeit hergibt. Man könnte zum Beispiel denken, dass es Menschen gibt, deren einziger Existenzinhalt es ist, das Forum der Online-Ausgabe des Spiegel mit Meinungen zu allem und jedem vollzuschreiben. Was früher der Leserbrief war, sind heute Foren, Amateur-Rezensionen bei Internet-Buchhandlungen oder, wenigstens in der Zeichenzahl reduziert, sog. „Tweets“ für diese unergründliche Seite namens „Twiter“. Die Möglichkeiten der Meinungsäußerung wuchern gen Unendlichkeit.

Bevor wir nun den Bogen zu den Toiletten dieser Welt schlagen, möchte ich mit einem kurzen Rechenbeispiel verdeutlichen, dass diese vermeintliche Errungenschaft der modernen Welt ein Nullsummenspiel ist: Früher gab es, was weiß ich, Minnesänger, das „gute Gespräch“, also mündliche Überlieferung und vielleicht das ein oder andere Buch. Und schon damals waren 68,5 Prozent aller über diese dürftigen Medien verbreiteten Meinungen komplett überflüssig. Für diese 68,5 Prozent musste der Mittelalterbewohner aber auch nur alle drei Wochen fünf Minuten seiner Zeit opfern (wenn mal wieder ein Minnesänger vorbeikam). Heute sind immer noch 68,5 Prozent aller verbreiteten Meinungen komplett überflüssig, aber der moderne Mensch verbringt 23,5 Prozent seiner täglichen Wachphase mit diesem Quatsch. Es ist also schlimmer als ein Nullsummenspiel!

Aber hier soll es nicht um die Menschheit gehen, sondern um Toiletten: Das Graffiti ist wahrscheinlich so alt wie die Entdeckung von Zeichenmaterialien durch den meinenden Menschen. Seine spezielle Ausprägung, der Toilettenspruch, entstand aber erst sehr viel später, mit der Bereitstellung öffentlicher Bedürfnisanstalten. In den 1960/70er Jahren, der Zeit der Spontis, erlebte der Toilettenspruch seine Blüte, hält sich aber bis heute beständig in der Kultur der öffentlichen Toilette. Meistens ist das Niveau des Toilettenspruchs eher mäßig, Spiegel-Forum-Qualität, manchmal ganz lustig. Insgesamt aber könnte die Menschheit ganz gut ohne Toilettensprüche leben. Ein, auf verquere Art positives Beispiel für den Toilettenspruch gibt es in der Astrastube zu lesen.

Wenn man die Toilette der Astrastube auf ein Wort zusammendampfen möchte, wäre es: Schimmel. Die Astrastube ist aber auch die Bar mit dem schönsten Ausblick Hamburgs. Sie liegt unter einer Eisenbahnbrücke, der Sternbrücke in Hamburg-Altona, und durch die komplett verglaste Scheibe blickt man auf die Kreuzung Max-Brauer-Allee/Stresemannstraße. Ich könnte jetzt drei Stunden beschreiben, warum dieser Blick toll ist und berichten, dass die Astrastube ein sehr gutes Booking macht, aber es soll hier ja um Toiletten gehen und die ist in der Astrastube halt eher gammelig, feucht und schimmelig. Vor diesem Hintergrund ist das abgebildete Foto des Toilettenspruchs über dem linken Astrastuben-Pissoir zu lesen: „fuck negative thinking“. Schöner kann man das alte „think pink“ eigentlich nicht umformulieren, wenn man es auf die schimmelige Wand der Astrastube kritzelt. Wer dort pinkelt, fühlt sich gleich viel besser. „Ich ficke das negative Denken, mir geht’s gut.“

Keine Meinungen, nur schaukelnde Hasen. Ich war so relaxt, dass ich vergaß, den Blitz einzuschalten.

Insgesamt, und das gilt jetzt nicht nur für die Toilette, sondern für alle Meinungsäußerungsforen der Welt, wäre es dennoch gut, die Möglichkeiten der sinnlosen Meinungsäußerung unauffällig ein wenig einzuschränken (außer in Diktaturen versteht sich).In der Toilettenszene geht hier eines der wenigen netten Etablissements in Reeperbahn-Nähe mit leuchtendem Beispiel voran: Die „Hasenschaukel“. Auch über die Hasenschaukel gäbe in einer Kolumne mit anderer Themensetzung Vieles zu sagen, doch hier geht es um Toiletten und wenn man die Toiletten der Hasenschaukel in ein Wort hineinquetschen wollte, wäre es dieses: Hasenschaukel.

Tapeziert sind diese Toiletten nämlich mit einer Tapete, die in, ich glaube, Pastelltönen verschiedene Hasenmotive zeigt, darunter auch eines auf dem ein Hase schaukelt. Die Hasenschaukel gibt es nun auch schon seit einigen Jahren und in den ersten Jahren war es erstaunlich zu beobachten, dass die Tapete gar nicht überschrieben wurde. Vielleicht haben Tanju und Anja, die Betreiber, viele Rollen Hasentapete erstanden und alle paar Tage wieder neu tapeziert? Oder die Menschen zeigten Respekt angesichts dieser außergewöhnlich schönen Tapete? Ein Rätsel. Jedenfalls wird bis heute die Tapete der Hasenschaukel von Meinungen jeglicher Art verschont. Totale geistige Entspannung für die Pinkler! So sollen Toiletten sein.

P.S.: Mir gehen vorerst die Toilettenfotos aus. Außerdem gibt es bestimmt auf der ganzen Welt gute Toiletten. Einsendungen zum Thema „Toiletten dieser Welt“ werden also gerne entgegengenommen. Mailen Sie zu unserer Freude einfach an: info [at] wortpong.de.

4 Kommentare leave one →
  1. Toy Ledde permalink
    25. November 2011 23:20

    also ich war mal vor zwei oder drei jahren bei schaumstoff lübke in altona und da aufm klo war ein großartiger wasserfleck, der die form von afrika hatte. ich habe das damals mit meinem old school lo-tek handtelefon fotografiert, bei dem man aber die fotos nicht vom handy runter kriegte oder zumindest habe ich niemals rausgefunden, wie das ging. jedenfalls war dieser wasserfleck phänomenal und ich habe geschlagene 5 minuten auf der ansonsten eher ungastlichen toilette verbracht, um ihn aus allen erdenklichen winkeln zu fotografieren.
    irgendwo habe ich auch noch endlose und sterbenslangweilige videoaufnahmen von den klos aus waagenbau, mandalay und echochamber. die könnte ich mal hochladen und den account hier sprengen. falls ich mal irgendwann langeweile habe …

    • MartinS permalink*
      25. November 2011 23:31

      Hallo Toy, hast Du das alte Mobiltelefon noch? Das wäre ein interessantes Foto. Schaumstoff Lübke in Altona hat zu, oder? Und Videoaufnahmen, ääh, in der Toilette drin aufgenommen? Was sagt denn der Persönlichkeitsschutz dazu? Sprenge doch bitte gerne den Account hier.

  2. dbMdW permalink
    26. November 2011 10:01

    NEIIIN! diese reihe darf noch nicht sterben! es gibt zu diesem thema noch so viel zu schreiben MartinS!
    ich wünsche mir so sehr eine abhandlung über totalausgefallenkreative herren/damen-schilder! empfehlenswert ist da z.b. die austerbar: ein ast und ein astloch weisen auf die für den toilettengang ausschlaggebenden körperteile hin. ich (weiblich, zu dem zeitpunkt alkoholbedingt intellektuell etwas beeinträchtigt und gerade deswegen aus gutem grund auf der suche nach einer toilette) stand bei meinem ersten besuch dort von einem bein auf das andere trippelnd erst mal ganz schön ratlos davor. es schien mir zu plump, ich dachte, ich interpretiere die gezeichneten schilder falsch und mir entgeht vielleicht doch der entscheidende hinweis und das ganze ende damit, dass ich in die herrentoilette reinplatze – und aus film und fernsehen wissen wir doch, welch schreckliche folgen das haben kann: schreiende menschen, die schlimmste nur vorstellbare peinlichkeit, vielleicht sogar soziale isolation. auf jeden fall habe ich die kreativen köpfe der auster bar (überhaupt: was haben ausgerechnet bäume mit austern zu tun – hätte man nicht zumindest im element bleiben können?!) dafür verflucht sich zu fein zu sein, einfach ein W und ein M oder ähnliches an die türen zu nageln! puuh, das tat gut, das mal loszuwerden.

    im übrigen möchte ich an den aktuellen TdW-Artikel noch etwas hinzufügen: ich war letztens im neuen spiegel-gebäude. die bauarbeiten waren noch nicht komplett abgeschlossen, so waren zum beispiel manche der aufzüge von innen noch mit holz vernagelt. ich stand da so im aufzug und zwei mitreisende damen unterhielten sich darüber, wie die schmierereien an den holzbrettern von tag zu tag schlimmer werden. und tatsächlich: auch im spiegel, dem intellektuellen wunderland und hort des gehobenen journalismus, hatten sich menschen eddings mitgenommen und ihre weisheiten an die holzwand des aufzugs geschmiert. und auch hier reichte es nicht für tiefsinnigeres als (ich zitiere sinngemäß): „fuck“, „scheiß bauarbeiten“ und der liebevollen wohlbekannten karrikatur eines gewissen männlichen körperteils im stil eines 8jährigen. erstaunlich, hab ich mir gedacht: wenn es um wandschmierereien geht, gibt es einfach keine evolution. die bleiben immer auf dem selben stand.

    in tiefer verehrung,
    k

  3. MartinS permalink*
    28. November 2011 09:14

    Hallo dbMdW, Glück gehabt: Ich habe am Wochenende zwei Fotos zu dem vorgeschlagenen Thema aufgenommen. Ein sehr interessanter Aspekt der Toilettenthematik übrigens. Dazu wird also bald ein neuer Beitrag folgen. Und im Übrigens stirbt hier jetzt noch niemand. Ich brauche bloß neues Material und auch wenn es sehr viele öffentliche Toiletten gibt, stolpert man doch nicht täglich in eine, über die es etwas zu sagen gäbe. Also, vielen Dank für die Anregung und die Spiegelbeobachtung, zu der mir übrigens einfällt, dass es auch in Pompeji politische Wandgraffitis zu sehen gibt, was die These bekräftigt, dass es im Bereich der Wandbekritzelung keine Evolution gibt.
    Grüße!

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